Zu den Schwerpunkten des NABU-Beweidungsprojektes gehört der Erhalt der Lebensräume von sogenannten „Verantwortungsarten“. Es handelt sich dabei um Pflanzen- oder Tierarten, für deren Erhalt Deutschland bzw. Sachsen-Anhalt eine besondere internationale Verantwortung tragen, weil ein sehr hoher Anteil ihrer Weltpopulation hier vorkommt. Besonderes Augenmerk liegt im NABU-Projekt dabei auf dem Schutz der Duft-Skabiose (Scabiosa canescens) und des Zierlichen Brillenschötchens (Biscutella laevigata subsp. gracilis). Weitere sehr seltene Pflanzen mit bedeutenden Verbreitungsschwerpunkten in unserem Projektgebiet sind das Kleine Knabenkraut (Orchis morio) und das Schmalblütige Träubel (Muscari tenuiflorum).
Duft-Skabiose (Scabiosa canescens) auf dem Kalkhang an der Pögritzmühle bei Wettin
Im Spätsommer breitet die Duft-Skabiose (Scabiosa canescens) auf den Weideflächen der NABU-Schafherde ihre blasslila Blütenteppiche aus. Mit ihrem zahlreichen Auftreten erweckt sie dort nicht den Eindruck einer besonders seltenen oder gar gefährdeten Art. Und tatsächlich ist die Duft-Skabiose auf den Kalkhängen und Porphyrhügeln rund um Halle noch durchaus regelmäßig und oft auch in stattlicher Anzahl anzutreffen.
Jenseits unserer Region sieht die Situation jedoch völlig anders aus: Außerhalb des Mitteldeutschen Trockengebietes gilt Scabiosa canescens fast überall als stark gefährdete Rarität. In den meisten anderen Bundesländern ist die Duft-Skabiose nach starken Bestandsrückgängen inzwischen extrem selten geworden oder sogar schon ausgestorben, oder fehlt schon von Natur aus. Die starken Bestände der Duft-Skabiose in der Umgebung von Halle gehören zu den letzten verbliebenen noch relativ stabilen Vorkommen der Art überhaupt – nicht nur bundesweit, sondern auch weltweit. Denn hierzulande liegt das globale Arealzentrum der Art, in dem mehr als die Hälfte ihrer Weltpopulation konzentriert ist. Für den Erhalt von Scabiosa canescens trägt Deutschland – und hier besonders Sachsen-Anhalt – daher eine besondere internationale Verantwortung.
Die Vorkommen der Duft-Skabiose sind eng an intakte Trocken- und Halbtrockenrasen gebunden, die für ihren Fortbestand auf eine regelmäßige Nutzung bzw. Pflege angewiesen sind. Mit der Pflege ihrer Lebensräume leistet das NABU-Beweidungsprojekt somit einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt dieser „Verantwortungsart“ in ihrem Arealzentrum. Auf den NABU-Projektflächen befinden sich bedeutende Bestände der Duft-Skabiose u. a. auf dem Kalkhang an der Pögritzmühle bei Wettin, auf dem Kirschberg Knapendorf und auf den Porphyrhügeln bei Niemberg.
Auf den NABU-Weideflächen bietet die Duft-Skabiose mit ihrer Blütenfülle im Spätsommer auch eine wichtige Nahrungsquelle für nektarsaugende Insekten - hier für den Mauerfuchs (Lasiommata megera), eine charakteristische Tagfalterart trockenwarmer Lebensräume.
Das Brillenschötchen (Biscutella laevigata) ist auf den Weideflächen des NABU mit einer im östlichen Zentraleuropa endemischen (d.h. weltweit nur hier vorkommenden) Unterart vertreten. Diese Unterart, das Zierliche Brillenschötchen (Biscutella laevigata subsp. gracilis), ist dabei innerhalb Deutschlands auf das mitteldeutsche Elbe- und Saalegebiet beschränkt. Die heute noch verbliebenen Vorkommen befinden sich sämtlich in Sachsen-Anhalt, dem somit weltweit eine sehr hohe Verantwortung für den Erhalt dieser Unterart zukommt. Die wenigen noch vorhandenen Bestände liegen fast alle im Saaletal nördlich von Halle sowie sehr vereinzelt im Elbtal bei Dessau. Lediglich im Reliktareal zwischen Halle und Wettin (Porphyrlandschaft) sind die Vorkommen überwiegend stabil, bestehen aber selbst hier nur noch aus ca. 17 (teilweise sehr kleinen) aktuellen lokalen Teilpopulationen auf einzelnen Porphyrkuppen.
Zur starken Gefährdung der Unterart trägt auch ein extrem geringes Besiedlungs- und Ausbreitungspotential bei. Die verbliebenen Vorkommen des Brillenschötchens gelten als Glazialrelikte, d.h. zumindest im nahen Umkreis müssen Populationen die nacheiszeitliche Wiederbewaldung bis in die heutige Zeit überdauert haben. Bei Biscutella laevigata als Glazialrelikt stellen Neubesiedlungen von Standorten extreme Ausnahmeereignisse dar, womit die Art einen strengen Indikator für eine sehr lange Biotoptradition darstellt.
Zierliches Brillenschötchen im FND "Küsterberge bei Brachwitz"
Das Zierliche Brillenschötchen ist sehr eng an xerotherme und nährstoffarme Lebensräume gebunden. Seine Lebensräume sind essentiell auf eine regelmäßige Nutzung bzw. Pflege (Schaf- bzw.
Ziegenbeweidung) angewiesen. Eine weitere Besonderheit ist die völlige Selbstinkompatibilität der Pflanzen, d. h. für die Ausbildung keimfähiger Samen ist der Austausch von Pollen verschiedener
Pflanzen zwingend notwendig.
Lebensräume des Brillenschötchens werden von der NABU-Schafherde auf Porphyrhügeln am nordwestlichen Stadtrand von Halle (bei Dölau und Lettin) sowie auf den Küsterbergen bei Brachwitz
beweidet.
Die Pflege der Standorte des Brillenschötchens im NABU-Beweidungsprojekt wird mit einem Forschungsprojekt der Hochschule Anhalt
zum Schutz und zur Förderung dieser Verantwortungsart abgestimmt.
Weitere sehr seltene Pflanzen mit bedeutenden Verbreitungsschwerpunkten in unserem Projektgebiet sind das Kleine Knabenkraut (Orchis morio) und das Schmalblütige Träubel (Muscari tenuiflorum).
Beim Schmalblütigen Träubel ist die Aufteilung in einen schopfigen Schauapparat unfruchtbarer blauvioletter Blüten am Gipfel des Blütenstandes und in eine darunter liegenden Traube mit weniger auffälligen fertilen Blüten bemerkenswert.
Die südosteuropäisch verbreitete Waldsteppenart besitzt im Großraum Halle verschiedene Vorkommen mit teilweise Tausenden von Pflanzen, sowie einige wenige Populationen im östlichen Harzvorland,
im Unstruttal und in Nord-Thüringen. Im sonstigen Deutschland fehlt sie vollständig.
Unter den NABU Weideflächen beherbergt z.B. der Große Küsterberg bei Brachwitz einen sehr individuenreichen Bestand des Schmalblütigen Träubels.
Das Kleine Knabenkraut gehörte früher zu den gewöhnlichen Orchideenarten, und war auch an Feldrainen und Wegrändern häufig zu finden.
Unter anderem durch die intensive Landwirt-schaft und übermäßige Nährstoffeinträge sind die Bestände der Art im letzten Jahrhundert rapide geschrumpft. Orchis morio gilt inzwischen bundesweit und in Sachsen-Anhalt als stark gefährdet, in den benachbarten Bundesländern ist sie sogar vom Aussterben bedroht.
In der Halleschen Porphyrlandschaft haben sich die letzten individuenreichen und stabilen Bestände der Art innerhalb des gesamten nord-und ostdeutschen Raums erhalten.
Weideflächen des NABU mit Vorkommen des Kleinen Knabenkrauts befinden sich bei Landsberg, am Petersberg und bei Brachwitz.